Die Ausgangslage
Nehmen sie eine frisch al dente gekochte Spaghetti und legen sie längs auf den Tisch, dann zerschneiden sie sie in zwei Hälften. Jetzt nehmen sie einen dünnen Faden und nähen die beiden Enden wieder zusammen. Erwartet wird ein nahtloser Übergang den man kaum sieht, so als wäre es wieder ein Stück. Wirklich anfassen sollten Sie dabei das Spaghetti aber nicht. Gelingt die Naht, so müssen sie jetzt an einem Ende ziehen können, ohne dass die Naht reisst, oder die Fäden in den frisch gekochten Teig einschneiden. So in etwa gestalten sich die Schwierigkeiten bei der Naht einer durchtrennten Beugesehne.
Im Finger verläuft die Sehne durch einen Kanal, die Sehnenscheide, die am Knochen Festgemacht ist und so das Durchhängen der Beugesehne beim Faustschluss verhindern soll. In diesem Bereich kommt die Schwierigkeit dazu, dass die Sehnenscheide nur sehr sparsam eröffnet werden sollte und die Naht sollte robust genug sein, um anschliessend ein ständiges Bewegen des Fingers zu erlauben. Ohne diese Bewegung während der ganzen Nachbehandlung würde die Sehne mit ihrer Umgebung verkleben und der Finger bliebe steif.
Es kommt nicht von ungefähr, dass man früher den Teil des Fingers mit Sehnenscheidenkanal das „Niemandsland“ nannte, meinend Niemand soll hier eine Sehnennaht durchführen, die Funktion des Fingers sei auf jeden Fall verloren.
Neue OP-Techniken unter optischer Vergrösserung, neue Nahtmaterialien und vor allem gezielte moderne Nachbehandlung durch spezialisierte Handtherapie haben die Beugesehnennaht zu einem Routineeingriff werden lassen. Es gibt viel Forschung zu diesem Thema. Verschiedene Nahttechniken und ihre Kombinationen wurden untersucht und immer wieder werden neue Empfehlungen zur gezielten Nachbehandlung und deren Dauer abgegeben. Liegt eine einfache Beugesehnenverletzung vor, ohne Beteiligung der Nachbarstrukturen, wie Nerven oder Knochen, so darf der Patient heute am Ende eine vollständig normale Funktion wie vor dem Unfall erwarten. Ist die Verletzung komplex mit zerfransten Sehnenstümpfen durch stumpfe Gewalt, mit Frakturen auf gleicher Höhe wie die Sehnenverletzung, oder mit gleichzeitiger Verletzung der Nerven, lässt sich auch heute eine vollständig normale Handfunktion nicht mehr erreichen. Denn häufig widersprechen sich sogar die Auflagen wie die einzelnen Strukturen versorgt und nachbehandelt werden müssen. Hier sind Erfahrung und Kenntnis der Heilungsvorgänge in hohem Mass gefordert. Eine komplexe Sehnenverletzung gehört vorbehaltlos in die Hände erfahrener Handchirurgen.
Spaghetti lassen sich nicht nähen. Man isst sie mit der Gabel, wer sie zerschneidet, zerschneidet das Herz der Köchin.
Die Technik
Die Beugesehnen bestehen aus feinen, parallel verlaufenden Kollagenfasern, die nur wenige Querverbindungen untereinander haben. Sie sind von einer Gleitschicht bedeckt und verlaufen in dünnen, schlauchförmigen Sehnenscheiden. Die Beugesehnen sind ausgesprochen reissfest. Ernährt werden sie von kleinsten mitbewegenden Blutgefässen aus dem Knochen und teilweise von der Sehnenscheidenflüssigkeit. Die langen Finger haben im Unterschied zum Daumen 2 Beugesehnen, die sich in der Fingermitte kreuzen.
Üblicher Weise erfolgt heute die Beugesehnennaht mit 2 Kernnähten mit einem glatten, nicht geflochtenen Faden, der dauerhaft in der Sehne verbleibt. Die Kernnähte stehen senkrecht aufeinander und übernehmen den Hauptteil der Zuglast. Am häufigsten verwendet wird die Nahttechnik nach Kessler/Kleinert, es gibt aber Alternativen, auf die man je nach Zustand der Sehne zurückgreifen kann und auch betreffend Fadenmaterial werden laufend neue innovative Lösungen verfügbar. Die Knoten müssen in der Sehne versenkt werden, um das Gleiten der Sehne in ihrer Sehnenscheide nicht zu blockieren und sie sollten nicht zwischen den beiden Sehnenstümpfem platziert werden, um die Heilung nicht zu behindern. Nach der Kernnaht erfolgt eine fortlaufende Überwendelung der Sehnenstümpfe mit einem sehr feinen Faden, der sich später auflösen darf. Diese Überwendelung liegt ganz oberflächlich und hat zum Ziel einen glatten Übergang zu schaffen, damit sich die adaptierten Sehnenstüpfe beim hin-und-her Gleiten nicht aufwerfen. Während der ganzen Operation ist unbedingt darauf zu achten, dass die Sehnen möglichst nicht mit der Pinzette gefasst werden, sie sollen am besten schonend nur mit feinen Nadeln in der gewünschten Position gehalten werden. Die oberflächliche Gleitschicht der Sehne, das Peritendineum, ist sehr zart. Schon kleine Kratzer durch die Pinzette erhöhen die Gefahr von Verklebungen zwischen der Sehnenoberfläche und der Sehnenscheide, was unweigerlich zu einem steifen Finger führt.
Die sparsam eröffnete Sehnenscheide muss jetzt verschlossen werden. Wurden auch ihre Verstärkungen, die Ringbänder durchtrennt, so ist eine besonderes stabile Naht, manchmal sogar verstärkt mit einem kleinen Sehnenstreifen erforderlich, denn auf die Ringbänder wirken starke Zugkräfte. Am Schluss gilt es die Qualität der Versorgung und die ihr zumutbare Zugkraft zu beurteilen und basierend darauf ein Nachbehandlungsprogramm aufzustellen. Ausschlaggebend dafür ist in der Regel die Art des Trauma und der dadurch entstandene ursprüngliche Schaden an den Sehnen und an der Sehnenscheide. Ist die Wunde verschlossen und ein steriler Verband angelegt, wird auf der Handrückenseite eine lange Gipsschiene in maximal möglicher Biegung angebracht, um die Sehne zu entlasten.
Die Schiene ist auch der Ausgang für die Nachbehandlung, indem an den Fingerspitzen Gummizügel angebracht werden, die eine Bewegung der Sehne erlauben, ohne dass der eigene Sehnenmuskel an der Sehne zieht und so Spannung an der Nahtstelle verursacht. Dieser nach „Kleinert“ benannte Apparat wird in der Folge in regelmässigen Abständen mit fortschreitender Heilung aufgerichtet.
Diese Nachbehandlung wird von der Handtherapie durchgeführt, einem Fachgebiet, das als Zusatzfach an die Ergotherapie oder Physiotherapie erlernt wird. In der Regel sind 2-3 Sitzungen pro Woche erforderlich. Die Handtherapeutin wechselt nach Bedarf den Verband oder entfernt die Hautfäden. Nach etwa 6 Wochen kann der Patient seine Hand erstmals ohne Schiene aber noch ohne Belastung bewegen. Belastung und das Ausüben von Kraft sind je nach Art und Lokalisation der Verletzung nach 8-12 Wochen zulässig.
Dr. med. J. Huracek, Jun. 2024
Bilder: Tubiana, Lanz, Rudigier
Die Ausgangslage
Nehmen sie eine frisch al dente gekochte Spaghetti und legen sie längs auf den Tisch, dann zerschneiden sie sie in zwei Hälften. Jetzt nehmen sie einen dünnen Faden und nähen die beiden Enden wieder zusammen. Erwartet wird ein nahtloser Übergang den man kaum sieht, so als wäre es wieder ein Stück. Wirklich anfassen sollten Sie dabei das Spaghetti aber nicht. Gelingt die Naht, so müssen sie jetzt an einem Ende ziehen können, ohne dass die Naht reisst, oder die Fäden in den frisch gekochten Teig einschneiden. So in etwa gestalten sich die Schwierigkeiten bei der Naht einer durchtrennten Beugesehne.
Im Finger verläuft die Sehne durch einen Kanal, die Sehnenscheide, die am Knochen festgemacht ist und das Durchhängen der Beugesehne beim Faustschluss verhindern soll. In diesem Bereich kommt die Schwierigkeit dazu, dass die Sehnenscheide nur sehr sparsam eröffnet werden sollte und die Naht sollte robust genug sein, um anschliessend ein ständiges Bewegen des Fingers zu erlauben. Ohne diese Bewegung während der ganzen Nachbehandlung würde die Sehne mit ihrer Umgebung verkleben und der Finger bliebe steif.
Es kommt nicht von ungefähr, dass man früher den Teil des Fingers mit Sehnenscheidenkanal das „Niemandsland“ nannte, meinend Niemand soll hier eine Sehnennaht durchführen, die Funktion des Fingers sei auf jeden Fall verloren.
Neue OP-Techniken unter optischer Vergrösserung, neue Nahtmaterialien und vor allem gezielte moderne Nachbehandlung durch spezialisierte Handtherapie haben die Beugesehnennaht zu einem Routineeingriff werden lassen. Es gibt viel Forschung zu diesem Thema. Verschiedene Nahttechniken und ihre Kombinationen wurden untersucht und immer wieder werden neue Empfehlungen zur gezielten Nachbehandlung und deren Dauer abgegeben. Liegt eine einfache Beugesehnenverletzung vor, ohne Beteiligung der Nachbarstrukturen, wie Nerven oder Knochen, so darf der Patient heute am Ende eine vollständig normale Funktion wie vor dem Unfall erwarten. Ist die Verletzung komplex mit zerfransten Sehnenstümpfen durch stumpfe Gewalt, mit Frakturen auf gleicher Höhe wie die Sehnenverletzung, oder mit gleichzeitiger Verletzung der Nerven, lässt sich auch heute eine vollständig normale Handfunktion nicht mehr erreichen. Denn häufig widersprechen sich sogar die Auflagen wie die einzelnen Strukturen versorgt und nachbehandelt werden müssen. Hier sind Erfahrung und Kenntnis der Heilungsvorgänge in hohem Mass gefordert. Eine komplexe Sehnenverletzung gehört vorbehaltlos in die Hände erfahrener Handchirurgen.
Spaghetti lassen sich nicht nähen. Man isst sie mit der Gabel, wer sie zerschneidet, zerschneidet das Herz der Köchin.
Die Technik
Die Beugesehnen bestehen aus feinen, parallel verlaufenden Kollagenfasern, die nur wenige Querverbindungen untereinander haben. Sie sind von einer Gleitschicht bedeckt und verlaufen in dünnen, schlauchförmigen Sehnenscheiden. Die Beugesehnen sind ausgesprochen reissfest. Ernährt werden sie von kleinsten mitbewegenden Blutgefässen aus dem Knochen und teilweise von der Sehnenscheidenflüssigkeit. Die langen Finger haben im Unterschied zum Daumen 2 Beugesehnen, die sich in der Fingermitte kreuzen.
Üblicher Weise erfolgt heute die Beugesehnennaht mit 2 Kernnähten mit einem glatten, nicht geflochtenen Faden, der dauerhaft in der Sehne verbleibt. Die Kernnähte stehen senkrecht aufeinander und übernehmen den Hauptteil der Zuglast. Am häufigsten verwendet wird die Nahttechnik nach Kessler/Kleinert, es gibt aber Alternativen, auf die man je nach Zustand der Sehne zurückgreifen kann und auch betreffend Fadenmaterial werden laufend neue innovative Lösungen verfügbar. Die Knoten müssen in der Sehne versenkt werden, um das Gleiten der Sehne in ihrer Sehnenscheide nicht zu blockieren und sie sollten nicht zwischen den beiden Sehnenstümpfem platziert werden, um die Heilung nicht zu behindern. Nach der Kernnaht erfolgt eine fortlaufende Überwendelung der Sehnenstümpfe mit einem sehr feinen Faden, der sich später auflösen darf. Diese Überwendelung liegt ganz oberflächlich und hat zum Ziel einen glatten Übergang zu schaffen, damit sich die adaptierten Sehnenstüpfe beim hin-und-her Gleiten nicht aufwerfen. Während der ganzen Operation ist unbedingt darauf zu achten, dass die Sehnen möglichst nicht mit der Pinzette gefasst werden, sie sollen am besten schonend nur mit feinen Nadeln in der gewünschten Position gehalten werden. Die oberflächliche Gleitschicht der Sehne, das Peritendineum, ist sehr zart. Schon kleine Kratzer durch die Pinzette erhöhen die Gefahr von Verklebungen zwischen der Sehnenoberfläche und der Sehnenscheide, was unweigerlich zu einem steifen Finger führt.
Die sparsam eröffnete Sehnenscheide muss jetzt verschlossen werden. Wurden auch ihre Verstärkungen, die Ringbänder durchtrennt, so ist eine besonderes stabile Naht, manchmal sogar verstärkt mit einem kleinen Sehnenstreifen erforderlich, denn auf die Ringbänder wirken starke Zugkräfte. Am Schluss gilt es die Qualität der Versorgung und die ihr zumutbare Zugkraft zu beurteilen und basierend darauf ein Nachbehandlungsprogramm aufzustellen. Ausschlaggebend dafür ist in der Regel die Art des Trauma und der dadurch entstandene ursprüngliche Schaden an den Sehnen und an der Sehnenscheide. Ist die Wunde verschlossen und ein steriler Verband angelegt, wird auf der Handrückenseite eine lange Gipsschiene in maximal möglicher Biegung angebracht, um die Sehne zu entlasten.
Die Schiene ist auch der Ausgang für die Nachbehandlung, indem an den Fingerspitzen Gummizügel angebracht werden, die eine Bewegung der Sehne erlauben, ohne dass der eigene Sehnenmuskel an der Sehne zieht und so Spannung an der Nahtstelle verursacht. Dieser nach „Kleinert“ benannte Apparat wird in der Folge in regelmässigen Abständen mit fortschreitender Heilung aufgerichtet.
Diese Nachbehandlung wird von der Handtherapie durchgeführt, einem Fachgebiet, das als Zusatzfach an die Ergotherapie oder Physiotherapie erlernt wird. In der Regel sind 2-3 Sitzungen pro Woche erforderlich. Die Handtherapeutin wechselt nach Bedarf den Verband oder entfernt die Hautfäden. Nach etwa 6 Wochen kann der Patient seine Hand erstmals ohne Schiene aber noch ohne Belastung bewegen. Belastung und das Ausüben von Kraft sind je nach Art und Lokalisation der Verletzung nach 8-12 Wochen zulässig.
Dr. med. J. Huracek, Jun. 2024